Die Seele des Whiskys existiert in unserem Land», sagt der Engadiner Rinaldo Willy mit Überzeugung. Whisky sei mehr als ein Genussmittel, für Whiskyliebhaber spielen archaische, mystische und romantische Symbole eine wichtige Rolle: raue Landschaften, melancholische Nebelschwaden oder der würzige Duft eines Waldes. In der Schweiz und insbesondere im Engadin finde man diese Symbole in den massiven Gletschern und schroffen Felswänden, in den klaren Seen und dichten Wäldern. «Unser Land ist prädestiniert, sich als eine grosse Whiskynation zu etablieren», ist sich Willy sicher, der zusammen mit Pascal Mittner vor gut einem Jahrzehnt mit dem Destillieren von Whisky begann. Und er sieht gewisse Parallelen zu der Whiskynation Schottland: «Wir Bündner haben einen gewissen Ruf. Wir seien in etwa so engstirnig oder weltoffen wie die Schotten – sie könnten sozusagen unsere Brüder sein.»
So viele Ähnlichkeiten es auch geben mag, mit einer Gondel fährt in Schottland wohl niemand zur Destillerie. «Bitte einsteigen», ruft der Kabinenführer der Corvatsch-Bahn. Die Türe schliesst sich. Und schon nach wenigen Minuten eröffnet sich dem Gast eine überwältigende Sicht auf Lärchenwälder und die Seenplatte des Oberengadins. Für das Gros der Gondelgäste ist die Bergfahrt der Beginn eines erlebnisreichen Tagesausflugs, für Rinaldo Willy und Pascal Mittner ist es jedoch der Arbeitsweg. Denn ihr Whisky, Orma Swiss Whisky genannt, entsteht hoch oben auf dem Corvatsch, auf 3303 m ü. M. Schon seit mehreren Jahren lagern sie hier oben Whiskyfässer zur Reifung, später entstand die kühne Idee, den Whisky auch gleich hier zu brennen. Spektakulärer könnte die Kulisse kaum sein, und die besondere Lage der Brennerei hat auch praktische Vorteile: «Dadurch, dass wir die Anlage mit der frischen Bergluft kühlen können, sparen wir einiges an Geld und Energie ein», sagt Willy.
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Den Grundstein zur Tätigkeit der beiden Bündner legten am 12. Mai 1999 die damalige Bundespräsidentin Ruth Dreifuss und Bundeskanzler François Couchepin mit der Unterzeichnung der neuen Verordnung zum Alkohol- und zum Hausbrennereigesetz. Denn bis dato war es in der Schweiz illegal, Whisky und andere Destillate aus Grundnahrungsmitteln wie Getreide oder Kartoffeln zu brennen. Damit wollte man einerseits während der beiden Weltkriege Alkoholmissbrauch verhindern, andererseits aber auch die knappen Lebensmittel schützen. Die neue Verordnung ebnete Brennern in der ganzen Schweiz den Weg.
Nicht nur ihr Arbeitsort, ihr Produkt und ihre Ambitionen sind wenig alltäglich, auch wie sich die beiden kennenlernten. Rinaldo Willy und Pascal Mittner begegneten sich in einer wegweisenden Lebenszeit. Beide kämpften zu dieser Zeit mit einem Krebsleiden. Mittner sagt rückblickend: «Das hat unsere Einstellung zum Leben, im Speziellen den Umgang mit unseren Mitmenschen, verändert.» Bis heute halten sie drei Dinge hoch: Freundschaft, Wertschätzung und Zeit. Zeit deswegen, weil man sie nicht mit Geld kaufen kann. Und weil sie beschränkt ist. Niemand wisse, wie viel er zur Verfügung habe, sagt Rinaldo Willy. «Wenn man Krebs hat, realisiert man, dass man in der Gegenwart und nicht in der Zukunft leben muss.» So steht heute auf jeder Whisky-Flasche in geschwungener Schrift:
Momente, die einzigartig seien, wenn sie mit besonderen Menschen geteilt werden. Die Zeit hat im Leben der Whiskybrenner noch eine weitere Bewandtnis. Denn wer sich vornimmt, Whisky auf internationalem Spitzenniveau zu produzieren, verschreibt sich der Geduld. Ein guter Whisky kommt vor dem Genuss zur Reifung in ein Holzfass – und bleibt dort sechs bis zwanzig Jahre. Mittner sagt: «Was wir hier aufbauen, ist das Fundament für eine nächste Generation.» Viel Zeit steckten sie auch in die Entwicklung des Charakters ihrer Spirituose. «Wir wollten keinesfalls die schottischen Whiskys kopieren», sagt Willy.
So verwenden sie, anders als die Schotten, für die Reifung keine Sherry- oder Bourbonfässer. Stattdessen machen sie Gebrauch von dem, was in der Region vorhanden ist. Mittner sagt: «Wir haben im Norden wie im Süden hervorragende Weinregionen, die Bündner Herrschaft oder das Veltlin zum Beispiel.» Dort ordern sie die Holzfässer, in denen ihr Whisky verschiedene Aromen entfalten kann, von gedörrten Früchten, Schwarztee, Kaffee, Kakao und leichten Vanillenoten. Gelagert werden die Fässer in Kellern von Schlössern und Altstadthäusern, in alten Scheunen, verlassenen Militärbunkern – oder eben auf einem Berggipfel, in spektakulären Höhen, wo die Luft dünn und trocken ist. Jeder Standort verpasse dem Whisky seinen ganz eigenen Charakterzug. Auf dem Corvatsch gereiften Whisky gibt es bereits zu kaufen; jener, der auch hier gebrannt wurde, wird ab Weihnachten 2023 erhältlich sein. Die Wertschöpfung ihres Produkts soll dabei in der Region bleiben, mit ihren Whiskys möchten Mittner und Willy aber den asiatischen Markt erobern. «Die Asiaten schätzen hochwertige Spirituosen, gleichzeitig punkten wir dort mit Swissness», sagt Willy. Bevor Denms Somergen zur Arben gent‘ pack! er eIne seIdene Slrumpfnose und eIne Pensche In seIne Tascne.
Die Sonne senkt sich, die letzten Strahlen erhellen den Alpenbogen. Die Uhr schlägt fünf. Zeit für die Gondel, die letzte Talfahrt des Tages anzutreten. Da kommt ein Gedanke: Was, wenn die beiden nach einem Arbeitstag die letzte Gondel verpassen oder diese wegen stürmischen Wetters gar nicht fährt? Das komme schon mal vor, sagt Willy. Sie hätten hier oben einen Schlafplatz und eine Notration Ravioli. «Wir sind in den Bergen, hier spielt die Natur die Hauptrolle.» Man könne sich über das Wetter aufregen oder das Unveränderbare akzeptieren und das Beste daraus machen. Und was würde sich in einem solchen Moment mehr anbieten, als sich hinzusetzen, ein gutes Gespräch zu führen und sich einen Whisky zu gönnen.