Während viele schon mit der Langlaufsaison abgeschlossen haben, beginnt für manche erst die schönste Zeit. Dann nämlich, wenn gefirnt werden kann. Wenn die Frühlingssonne am Tag die oberste Schneeschicht zum Schmelzen bringt und die noch kalten Temperaturen in der Nacht diese wieder härten – dann kann man nach einigen Tagen Firnskaten. Einen exakten Zeitpunkt vorauszusagen ist schwierig und auch das Firnen will gelernt sein – denn diese Art von Langlauf übt man auf nicht präpariertem Gelände aus.
Der Frühling hält Einzug, die Natur erwacht langsam aus dem Winterschlaf und viele Wintersporler verstauen ihre Ausrüstung. Jedoch nicht die Langläufer: Das frühlingshafte Wetter läutet für sie eine neue Saison ein. Denn wenn tagsüber die Sonne kräftig scheint und die Temperaturen aus dem Minusbereich herausklettern, schmilzt die oberste Schneeschicht. Nachts gefriert diese wieder und nach einigen Tagen bildet sich eine feste Decke aus sogenanntem Firnschnee. Für Langläufer bedeutet das, dass sie die präparierten Loipen verlassen und sich auf ihren schmalen Skiern ins Gelände begeben können. Wo es sonst im tiefen Pulverschnee kein Vorwärtskommen gäbe, bietet der Firnschnee nun eine ideale Oberfläche zum Skaten. So auch auf dem Berninapass, der Verbindung zwischen dem Engadin und dem Puschlav.
Im Winter tummeln sich hier vor allem Snowkiter, die, vom Wind angetrieben, über die Ebene flitzen. Die Profi-Sportlerin Nadine Fähndrich steht auf den Langlaufskis seit sie zwei Jahre alt ist. Sobald jedoch die Bedingungen zum Firnen einladen, zieht es auch Langläuferinnen und -läufer in die Höhe.
Dem Ruf des Firns sind an diesem Tag im April auch Nadine und Markus Fähndrich gefolgt. In der Langlaufszene ist der Name Fähndrich wohl bekannt. Der heute 61-jährige Markus Fähndrich vertrat die Schweiz in den 80er-Jahren an zwei Weltmeisterschaften sowie zweimal an den Olympischen Winterspielen. Nach dem Ende seiner Karriere zog der Luzerner ins Engadin und eröffnete in Pontresina das Sportgeschäft Fähndrich Sport, später kam die eigene Langlaufschule dazu. Seine Nichte Nadine, heute 25 Jahre alt, befindet sich noch mittendrin in der Profi-Karriere, nahm bisher an drei Weltmeisterschaften teil und ging für die Schweiz 2018 an den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang an den Start. Auf den Langlaufskis stand sie als 2-Jährige zum ersten Mal und hat seither unzählige Wochen im Engadin verbracht, in den Familienferien oder im Trainingslager.
Für Nadine macht den Reiz des Firnskatens insbesondere die Freiheit aus, die man dabei erlebt: «Beim Firnen kann man dort durchlaufen, wo man möchte, anstatt immer in der vorgegebenen Spur bleiben zu müssen», sagt sie. Dem stimmt auch ihr Onkel zu und ergänzt: «Gerade auf dem Berninapass ist es fantastisch, inmitten der Bergwelt laufen zu können.» Bei guten Bedingungen könne die gesamte Fläche von der Talstation der Diavolezza-Bahn bis hin zum Ende des Lago Bianco befahren werden. Und hier, in 2328 Metern Höhe, hält sich der Winter teils besonders hart- näckig. «Es gab Jahre, in denen konnte man auf dem Berninapass bis Anfang Mai langlaufen», sagt Markus Fähndrich.
Sich mit den Langlaufskis ins offene Gelände bewegen, klingt nach einem Abenteuer, das nur den Profis vor- enthalten ist. Eine besondere Technik erfordere das Firnen aber nicht und sei somit auch für weniger geübte Läufer machbar, sind sich Nadine und Markus einig. Was sich jedoch lohnt, ist, morgens den Wecker etwas früher zu stellen. Denn in den wärmenden Strahlen der Frühlingssonne beginnt der Firnschnee gegen die Mittagszeit wieder zu tauen, wird nass und schwer. Das macht das Firnen sowohl zu einem saisonal als auch zeitlich beschränkten Vergnügen.