Grobe Leinentücher, schwere Holzkellen, der schimmernde Kupferkessel und das offene Feuer unter dem vom Russ längst tiefschwarzen Kamin – für einen kurzen Moment scheint es, als sei die Zeit in der Alphütte stehen geblieben. Dann klingelt ein Smartphone, und die Gegenwart hat uns wieder. Dicht gedrängt steht eine Handvoll Kinder vor einer Abschrankung und reckt neugierig die Köpfe. Auch ihre Eltern sowie ein frisch verliebtes einheimisches Paar, Touristen aus Australien, Österreich und Japan verfolgen interessiert, was dahinter im Halbdunkel geschieht. Seit 20 Minuten rührt Alpmeister Paul Ullmann unentwegt mit einem riesigen Schwingbesen die Milch im „Chessi“, bis sich die Molke allmählich vom Käsebruch trennt. Endlich sinken die an Hüttenkäse erinnernden weissen Stückchen auf den Boden des Kessels. Kurz darauf taucht der Käser seine Hand ohne mit der Wimper zu zucken in die warme Molke und fischt eine Handvoll Korn, wie der Käsebruch auch heisst, heraus. „Erst wenn er zwischen den Zähnen quietscht, hat er die richtige Konsistenz erreicht“, sagt er und reicht einen Teller davon zum Probieren in die Runde. Die Kleinen kauen und kichern vergnügt, die Erwachsenen nicken anerkennend.
Alp-Schaukäserei Morteratsch
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Seit mehr als 20 Jahren bietet die Sennerei Pontresina am Fusse des mächtigen Morteratschgletschers Einblick in die traditionelle Herstellung von Bergkäse. Als der eidgenössisch diplomierte Käsermeister Hansjürg Wüthrich den Betrieb zusammen mit seiner Frau Evelyne aufbaute, schwebte ihm eine Art „Ballenberg“ fürs Engadin vor. Kein Wunder, stammt Wüthrich doch aus dem Kanton Bern, wo sich das beliebte Freiluftmuseum befindet. „Tradition wird bei uns grossgeschrieben, deshalb wird hier auf der Alp noch alles von Hand gemacht“, sagt der Wahlengadiner, der neben der Geschäftsleitung zwischendurch auch noch gerne bei der Käseproduktion anpackt. 55’000 Liter feinste Rohmilch von der Alp Bernina im Heutal, Alp Bondo, Alp Roseg, Alp Fex und dem Dorf Pontresina werden hier pro Saison täglich zu den Engadiner Spezialitäten „Heutaler Bergkäse“, „Gletscher-Mutschli“ und „Molkeziger“ verarbeitet. Und die gehen weg wie warme Semmel. Denn es darf nicht nur zugeschaut, sondern auch probiert werden. Besonders beliebt ist der Alp-Brunch mit Bündner Spezialitäten, bei dem sich Einheimische und Touristen aus aller Welt an langen Bänken unter freiem Himmel zum Schmaus niederlassen.
Verkauften die Wüthrichs anfangs nur ein paar Kaffees an Wanderer, kommen heute bei gutem Wetter über 100 Gäste. Gut möglich, dass dem einen oder anderen das Gesicht eines Teenagers, der im Service aushilft, irgendwie bekannt vorkommt. Der junge Quirin Agrippi, besser bekannt als „Geissenpeter“ aus der Verfilmung des Schweizer Klassikers „Heidi“ aus dem Jahre 2015, verdient sich in den Sommerferien auf der Alp sein Taschengeld. Inzwischen hat Käsermeister Ullmann die Pressformen bereitgelegt und wirft einen prüfenden Blick ins Publikum: „Jetzt muss mir jemand helfen kommen.“ Eine junge Frau wagt sich vor, und zusammen fischen sie mit einem groben Leinentuch die weisse Käsemasse vom Kesselboden und füllen sie in runde Formen. Von Gewichten beschwert und regelmässig gewendet, bleiben die Käselaibe bis zum Abend dort liegen, bevor sie in den Lagerraum gebracht werden, wo sie mehrere Monate reifen müssen. „Und was passiert nun mit der übrig gebliebenen Flüssigkeit?“, fragt jemand zum Schluss. „Manchmal mache ich aus der Molke Schinken und Salami“, witzelt Paul Ullmann. Einem Gast entfährt ein ungläubiges „Echt, das ist ja interessant“. Tatsächlich aber wird die Molke nicht einfach weggeworfen. Wer möchte, kann nach Abschluss der Käseproduktion in einen Holzzuber steigen und bei einem Glas Prosecco ein Käsebad, pardon, ein überaus gesundes Molkebad geniessen.