In Plaun da Lej fühlen sich zwei unterschiedliche Jäger ganz schön wohl. Beide lieben Fische, beide lieben den Silsersee. Doch nur einer wird zwischenzeitlich vom Jäger zum Gejagten – im Winter, wenn Eisfischer den See beanspruchen.
Ein schabendes Geräusch wie von einer Rüebliraffel jagt die Berge links und rechts des Silsersees hoch. Antonio Walther ist damit beschäftigt, ein kleines Loch ins sechzig Zentimeter dicke Eis zu bohren. Er setzt zu einem letzten Dreh an – und der Bohrer ist durch. Das Wasser schwappt über das Loch aufs Eis.
Antonio ist Fischer. Nicht irgendeiner, sondern einer, der im Tal bekannt ist, sei es weil er der Präsident des örtlichen Fischereivereins ist, weil er Königskrabben aus Alaska in seinem Restaurant auftischt oder weil er manchmal ein bisschen rebelliert.
Normalerweise sind die farbigen Jacken der Eisfischer auf dem Silsersee bereits von Weitem zu erspähen, heute herrscht jedoch Menschenleere. Ein guter Tag für den Fischer, ein schlechter für den Fisch. Der zugefrorene See ist von der letzten Nacht, als der vielleicht letzte Schneesturm der Saison übers Tal fegte, von glitzernd weissen Flocken zugedeckt. Es ist März und die Eisfischsaison, welche Mitte Januar begonnen hat, neigt sich langsam dem Ende zu.
Der Tag auf dem gefrorenen See beginnt bereits, als die ersten Sonnenstrahlen über die Bergkante klettern. Antonio Walther zieht los, von seinem Restaurant Murtaröl im kleinen Ort Plaun da Lej geradewegs auf den See hinaus. Im Schlepptau seinen Schlitten, den er um den Bauch geschnallt hat. Früher nahmen seine drei Kinder darin Platz, wenn er langlaufen ging, heute sind da Angelrute, Handbohrer, Nudelsieb, Schaufel, Campingstuhl und Köder. «Fehlt nur der Schnaps», sagt er mit einem breiten Grinsen, aber den habe er heute nicht eingepackt, das mache sich nicht so gut vor den Medien. Was sich hingegen gut macht, ist das Eisfischen. Zwei Jahre durfte – im Rahmen eines Pilotprojektes – auf dem gefrorenen See gefischt werden. Ziel war es, eine invasive Fischart einzudämmen und gleichzeitig die einheimischen Fischbestände zu schonen. Das war so erfolgreich, dass 2019 der See für die nächsten fünf Jahre freigegeben wurde. Ein Erfolg für den hiesigen Tourismus und auch einer für Antonio, war das Eisfischen doch eine Idee, die ihm vor über zehn Jahren zugeflogen ist. Damals fischten aber Kanton und Gemeinde nicht im selben Teich, weshalb er sich zurückziehen und warten musste.
Nach ungefähr fünfzig Metern, mitten auf dem See, hält Antonio an. Die Sonne, so scheint es, versucht dem blauen Himmel hinterher zu jagen und hat den ganzen Schatten auf dem See bereits verschluckt. Sie sticht Antonio ins braungebrannte Gesicht, seine grauweissen Haare leuchten. Er holt die Schaufel aus seinem Schlitten, räumt die Schneeschicht von letzter Nacht zur Seite und setzt den Handbohrer an. Ist das Eis durchbohrt, zieht Antonio seine Schöpfkelle aus dem Schlitten und entfernt das Eis vom Wasserloch. Eigenmarke? Nein, auch andere machen das so, «von Hand würdest du dir ja die Finger abfrieren», sagt er. Mit anderen meint er die Eisfischer, die, ob jung, alt, erfahren oder auch nicht, ein Patent bei ihm lösen, manchmal eine Ausrüstung mieten, ein Loch ins Eis bohren, den Köder in die Tiefe lassen und warten. Warten wird auch Antonio bald müssen. Eines fehle aber noch dazu, sagt er und packt seinen Campingstuhl aus.
Der Köder muss bis auf den Grund des
Sees hinunter, der hier zirka 20 Meter
tief ist. Dort unten sitzt der Namaycush,
auch bekannt als Kanadischer Seesaibling.
Er wurde in den 1960er-Jahren zur
Regulation der verschiedenen Fischarten
eingesetzt, da zu viele Seesaiblinge das
Revier beherrschten. Doch dann standen
die Saiblinge ein bisschen zu oft auf
dem Speiseplan des kanadischen Einwanderers,
so dass sie nun fast gänzlich
verschwunden sind. Dafür hat sich der
Namaycush, der im Silser Wasser keine
Feinde kennt, wie wild vermehrt. Das musste ein Ende nehmen. Und als just
in diesem Moment Antonio Walther
wieder mit seiner Idee des Eisfischens
auftauchte, bissen die Gesetzgeber
schliesslich doch noch an.
Antonio lässt seinen Blick über den See
schweifen, zupft hie und da an der
Schnur, damit das Loch nicht zufriert.
Denn obwohl es nicht sonderlich kalt
ist, hat sich nach zehn Minuten bereits
eine dünne Eisschicht gebildet. «Ihr
dürft euch keine grosse Hoffnung auf
einen Fang machen», sagt er. Eisfischen
habe zwar viel mit Können und Wissen
zu tun, wichtig sei aber auch Glück:
Kürzlich etwa habe eine Anfängerin
schon nach einer Stunde ein Kaliber von
Fisch herausgezogen! Derweil zotteln
auch geübte Angler zuweilen nach
einem Tag mit leerem Eimer ab. Doch
häufig stehe der grosse Fang bei Eisfischern
so oder so nicht im Vordergrund.
Vielmehr geht es ihnen um das
Erlebnis, die Ruhe, die Natur, das Nichtstun
– obwohl
Letzteres nicht ganz
stimmt. Denn mit einmal bohren, hinsetzen und Köder ablassen ist die Arbeit
nicht getan. «Wenn du den ganzen
Tag vor demselben Loch sitzt, dann wird
keiner anbeissen. Fische sind nicht
dumm, sie lernen schnell», sagt Antonio.
Darum macht ein Eisfischer an einem
Tag bis zu zwölf Löcher. Damit der See
am Ende des Tages nicht aussieht wie
ein löchriger Käse, vergibt der Fischereiverein
nur dreissig Patente pro Tag.
Ein paar Autos sausen in regelmässigen Abständen über die Hauptstrasse, ihr Brummen wird vom frischen Schnee gedämpft. Da klingelt das Telefon. Antonio spricht mit charmanter Stimme auf Italienisch, zückt ein Büchlein aus seiner Brusttasche und notiert: Name, Uhrzeit, Anzahl Personen. Er nimmt eine Reservation für sein Restaurant entgegen, das er seit 36 Jahren führt. Das Notizheft habe er immer dabei, man wisse ja nie. Dass sein Restaurant gut besucht ist, zeigt sich an den Telefonaten, die noch folgen an diesem Tag. Auch das eine Idee, die funktioniert: Ein Fisch-Restaurant in den Bergen, das neben den einheimischen Fischen auch Meerestiere auftischt. Ein bisschen verrückt, «aber so bin ich halt.» Das Telefon klingelt ein weiteres Mal. Es ist sein Sohn Nico, der auch noch auf den See hinauskomme. Früher gingen sie oft miteinander fischen – sowohl im Winter wie auch im Sommer. Mittlerweile ist Antonio mehr Gastronom denn Fischer und Nico konzentriert sich auf seine Langlaufkarriere. Doch hie und da geniessen sie gemeinsame Stunden auf dem See, als wären sie langjährige Freunde. Dabei diskutieren sie dies und das und wie die nächste gefitzte Tat aussehen soll. «Wenn er die Idee hätte, Salz in den Silsersee zu streuen, um Delfine auszusetzen, ich wäre dabei», platzt es aus Nico heraus. Antonio lacht. Diese Idee hatte er bisher noch nicht, aber er würde die Touristen im Sommer mit einem Wasserflugzeug von Zürich oder dem Lago Maggiore nach Sils fliegen, von ihm aus auch im Winter, damit sie einen Tag fischen können. So wie er jetzt. Vielleicht würden sie dann auch vor dem Loch sitzen, über den weissen Schnee hinauf zur Sonne blinzeln und in Gedanken eine Idee spinnen, die vielleicht gar Realität wird. Nur Geduld braucht es, um den passenden Moment abwarten zu können. Dann beissen sie an.
Zutaten
Vorbereitung:
Lauch, Karotte, Zucchetti und Zwiebel in feine Streifen schneiden und
gut waschen. Die Gemüsestreifen in Salzwasser während 2 Minuten
kochen. Gut abtrocknen, dann in einer Pfanne mit Olivenöl, Salz und
Pfeffer kurz anbraten.
Die Fischtranchen in der Bratpfanne kurz anbraten (30 Sek. pro Seite),
dann jede Tranche auf ein Stück Alufolie legen und das Gemüse,
die Oliven und die geschnittenen Tomaten darauf verteilen.
Das Ganze mit ein wenig Weisswein, Thymian, Olivenöl, Pfeffer und
einer Prise Salz würzen. Den Fisch gut in die Alufolie einpacken und
im Ofen bei 200 Grad für 10 Minuten braten lassen. Guten Appetit!