Sie sind überall im Engadin zu finden. Versteckt in abgelegenen Tälern oder im Fokus der Touristen direkt in St. Moritz. Aussergewöhnliche und zum Teil noch wenig bekannte Künstler – sie entwickeln ausgefallene Ideen, inspiriert von der Engadiner Landschaft. Einer von ihnen ist der Schmied Roger Rominger, ein waschechter Fexer.
Normalerweise ist es in den frühen Morgenstunden ruhig im autofreien Fextal bei Sils. Nicht so an diesem Morgen. Tok, tok, tok – aus der Schmiede bei Fex Platta hören die wenigen hartgesottenen Spaziergänger, die sich bei den herbstlichen null Grad aus dem Haus wagen, wie der Hammer auf dem Amboss aufschlägt. In der ungeheizten Schmiede faltet Roger Rominger ein glutrotes Stück Stahl. Mit jedem Hieb verändert sich das Muster der glühenden Klinge. Durch das Fenster fällt ein morgendlicher Sonnenstrahl in die dunkle, rustikal eingerichtete Schmiede und wirft die Szene in mystisches Licht. Roger hat das Erscheinungsbild eines Schmieds, wie man sich ihn vorstellt: gross, mit Vollbart, kräftige Hände und blaue Augen, die durch die Schutzbrille hindurchlinsen. Er ist gelernter Schmied/Hufschmied, doch mittlerweile schafft er wahre Kunstobjekte – seine Leidenschaft: Damastmesser.
Roger kneift ein Auge zusammen und lässt seinen Blick präzise über die feinen Linien der Klinge schweifen. «Der weiche Federstahl», erklärt er und führt uns in die Geheimnisse der 2000 Jahre alten Herstelltechnik ein, «umschliesst den harten Stahl und verhindert, dass dieser bricht. Das Messer gewinnt so an Flexibilität.» Bis zu 500 Lagen aus unterschiedlichen Stählen verleihen der Klinge das charakteristische Muster, vergleichbar mit den Jahresringen eines Baums. Der Einsatzbereich und der Schneidestil bestimmen die Stahlqualität: Wünscht der Kunde ein Freizeitmesser oder ein Küchenmesser? Wie geht der Kunde mit dem Messer um, ist er ein Laie oder ein professioneller Koch? «Der Griff aus Materialien wie Makassar Ebenholz oder Hirschhorn mit Messing ist auf die Form der Klinge abgestimmt. Jedes Messer ist ein Unikat – ein Stück Fexer Seele.» Sein aktuelles Werk hat einen Griff aus Schlangenholz und trägt den rätoromanischen Namen «L'orma nüda», zu Deutsch «nackte Seele». Als Fexer ist Roger sowohl zu Hause als auch in der Schule mit dem rätoromanischen Dialekt Puter aufgewachsen. «Beim Schmieden darf keine Routine aufkommen», so der 35-Jährige, «sonst schleichen sich Fehler ein: Eine falsch gewählte Temperatur hat zur Folge, dass sich die Schichten trennen. Die ganze Arbeit wäre umsonst.»
Nach dem Besuch im Fextal kennen wir die Antwort auf diese Frage: Das auf 1900 Metern gelegene unberührte Fextal ist mit seiner wilden Natur ein wahrer Quell der Inspiration. Goldene Lärchen vor schneebedeckten Berggipfeln entführen Wanderer und Biker in die Welt der Gebrüder Grimm. Roger selbst bezeichnet sich als Stubenhocker. Es sei denn, es ist gerade Jagd, dann pirscht er auf Gämsen. Als passionierter Jäger bleiben ihm die schönsten Plätze im Fextal nicht verborgen: Den Lej Sgrischus («Schauerlicher See») und den Piz Tremoggia zählt er zu seinen Lieblingsorten. Überlegt, vom Fextal in die Stadt zu ziehen, hat er sich nie. Er mag das Fextal – ein Seitental, bodenständig und unkompliziert wie er selbst – auch wenn es ihm in schneereichen Wintern ab und zu etwas abgelegen scheint.
Bereits elf Jahre ist es her, dass ihn eine Sendung über Damastmesser dazu motivierte, selber ein solches herzustellen. Bis der Schmied sein erstes Damastmesser in den Händen hielt, tüftelte er allerdings lange. Heutzutage hätte er sich in einem fünfminütigen Youtube-Video schlau gemacht, die damals noch rar waren. Ideen für Muster und Formen findet er in der Natur.
Nicht weniger Erfindergeist legt Romingers Frau Martina an den Tag. Auf dem familieneigenen Hof, der Chesa Rominger, führt sie den kleinen Gastrobetrieb MangiaBain, auf Deutsch «iss gut». Die Speisekarte weckt die Neugier experimentierfreudiger Kulinarikfans: Hinter dem Bündner-Donnerstag und dem Schafburger-Freitag verstecken sich Fexer Spezialitäten wie die Engadiner Siedwurst aus dem hofeigenen Bio-Lammfleisch oder Schafsalsiz. Wer die währschafte Seite des Fextals kennenlernen möchte, nimmt sich Zeit für einen Zwischenstopp auf der Terrasse des MangiaBain und schaut sich die Damastmesser im Fexer Lädeli an. Öffnungszeiten: www.fexer.de