Die Geschichte des Engadiner Bobsports erzählt von Rückschlägen und grossen Erfolgen. Und dieser Tage von den Pionierleistungen der Fahrerin Melanie Hasler.
erklärte Melanie Hasler vor Ihrer Abreise nach Peking. Und tatsächlich erreichte sie wenig später im Monobob als Siebte das Ziel und durfte dafür ein olympisches Diplom entgegennehmen. Es wäre sogar eine bessere Platzierung möglich gewesen, aber während der Fahrt hatte sie die Bande touchiert und wertvolle Hundertstel verloren. Ein typischer Patzer beim Bobfahren, wenn man mit bis zu 150km/h in den schwer manövrierbaren Geräten zu Tale donnert. Doch den eigentlichen Meilenstein hatte Melanie Hasler damit gelegt, dass sie 2022 bei der olympischen Premiere des Frauen-Monobob als erste Frau die Schweiz vertrat. Damit steht sie für das Bobfahren der Gegenwart und als Schweizerin für diejenigen Berge, in denen die Geschichte des Bobsports begann. Denn seine Ursprünge sind eng verbunden mit dem Wintertourismus, genauer: dem Engadiner Wintertourismus. Und sie reichen weit zurück, in die 1890er-Jahre. Damals brachten englische Kurgäste den Schlittensport nach St. Moritz. Der erste Prototyp ihres Gerätes bestand aus zwei zusammengespannten Schlitten amerikanischer Bauart, sogenannter «Tobog - gans». Zu Beginn dienten diese Rennschlitten primär als Sportgeräte für wohlhabende Gäste, doch das Interesse daran breitete sich schnell weiter aus. So heisst es in der Chronik des St. Moritz Tobogganing Club (SMTC): «Ab 1890 kommt ein neuer Sport, der bisher nur vereinzelt betrieben wurde, immer mehr in Schwung: Das Schlitteln mit dem Bobsleigh. Dieser besteht aus zwei Schlittenge - stellen, welche durch ein langes Brett miteinander verbunden sind. Der vordere Teil ist beweglich, der hintere ist am langen Sitzbrett festgemacht und hat eine schwere Spannvorrichtung. Auf einem Schlitten müssen mehrere Personen zugleich aufsitzen und dies fördert den Teamgeist. Der vorderste Mann übernimmt die Lenkung, der letzte hat die Bremse zu besorgen.»
Vor der Ankunft des Bobs fuhren die tollkühnen Sportler mit dem Skeleton (eine Art Rodelschlitten, der bäuchlings und Kopf voran gefahren wird) oder dem Toboggan durch die geschwungenen Kurven des «Cresta Run», der Eisbahn von St. Moritz, hinunter nach Celerina Crasta. Doch der sperrige, für die schmale Bahn nicht wirklich geeignete Bob bereitete den Mitgliedern des Tobogganing Club Probleme. Was war denn nun die wahre, korrekte und überhaupt bessere Schlittensportart? Einstimmig unstimmig entschieden sich Tobogganers und Bobbers, getrennte Wege zu gehen. Die zahlreichen Bilder an den Wänden der St. Moritzer Sunny Bar, einer Art Clubhaus des SMTC, erzählen heute noch von den holprigen Anfängen.
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Am 21. Dezember 1897 wurde die Trennung der beiden Lager mit der Gründung des St. Moritz Bobsleigh Club (SMBC), des ersten Bob Clubs der Welt, besiegelt und schon 1904 mit der Eröffnung der weltweit ersten Bobbahn abgeschlossen, die mit einer eigenen Streckenführung den Hang hinunter schlängelt. Die Vereinsziele waren von strategischer wie auch von operativer Natur: So sollten einerseits die Interessen des Bobsportes in St. Moritz gewahrt und sein Ansehen gestärkt werden, während andererseits die Sicherheit verbessert wurde, indem etwa Streckenposten die gefährlichen Kurven während Wettkämpfen überwachten. Der SMBC hatte grossen Zulauf, auch weil von Beginn weg Sportlerinnen im Verein willkommen waren. Laut Statuten war nämlich vorgesehen, dass zwei Frauen im fünfköpfigen Vorstand Einsitz nahmen. Zudem hatte bei Fahrten im Dreierbob zwingend eine Dame mitzufahren, im Viererbob sogar deren zwei. Dies funktionierte fast 30 Jahre lang wunderbar, bis in den 1920er-Jahren Frauen mit fadenscheinigen Argumenten aus der Bahn gedrängt wurden. Dazu wurden – wie auch in anderen Sportarten – medizinische und moralische Gründe angeführt. So wurde behauptet, die rasanten Geschwindigkeiten und abrupten Stösse würden das Brustkrebsrisiko erhöhen. Zudem sei der Körperkontakt im engen Bob gefährlich für die Integrität der Frau. Damit machte der Bobsport hinsichtlich progressiver Geschlechterrollen einige Schritte zurück, während er sich gleichzeitig technologisch und technisch weiterentwickelte: So wurden die Schlitten stets verbessert und man erkannte etwa die Bedeutung des Startvorgangs, weshalb an Stelle der Frauen kräftige Leichtathleten, Handballer, Turner und andere Leistungssportler rekrutiert wurden, die beim Start einen schwungvollen Anschub geben konnten. Für bobbegeisterte Frauen begann damit eine lange Phase der Ausgeschlossenheit, welche erst 1992, mit der Zulassung von weiblichen Teams durch den Schweizer Bobverband beendet werden konnte. Seither haben die Bobfahrerinnen wieder an Geschwindigkeit zugelegt und rasen mutig durch den Eiskanal. .
So wie jüngst die Olympionikin Melanie Hasler, deren Geschichte eng mit St. Moritz verbunden ist. Denn nachdem die Volleyballspielerin von den Bobbern abgeworben worden war, half ihr der St. Moritz Bobsleigh Club mit einem Monobob aus, um ihr den Umstieg von Sand auf Eis zu ermöglichen. Heute ist sie Mitglied und Botschafterin des traditionsreichsten Bob Clubs der Welt, der auf ein vielversprechendes Jahr schaut. Denn 2023 wird die Bobweltmeisterschaft auf dem Olympia Bob Run St. Moritz – Celerina ausgetragen werden. Für Melanie Hasler eine ideale Gelegenheit, auf ihrer Heimstrecke ihr eigenes Kapitel zur Geschichte des Bobsports zu schreiben