„A d’eira üna volta …“ (rätoromanisch: Es war einmal …), mit diesem verheissungsvollen Beginn nehmen Märchenerzähler ihre gebannten ZuhörerInnen mit auf eine Reise in wundersame Zeiten und Welten voller Wunder. Auch um die Diavolezza und den Munt Pers ranken sich mystische Geschichten und die beiden berühmtesten, die erzählen wir Ihnen nun.
Es war einmal ein junger Senn, der sömmerte auf einer herrlichen Alp, deren saftige Weiden sich dort erstreckten, wo heute Pers- und Morteratschgletscher aufeinandertreffen. Aratsch hiess der stattliche Bursche. Eines Tages verliebte er sich in Annetta, die Tochter eines reichen Pontresiner Bauern, und auch sie schenkte ihm ihr Herz. Doch ihre Eltern schlugen ihnen den Ehewunsch ab, denn ihre schöne Tochter verdiene nur einen wohlhabenden Mann und keinen armen Senn als Gatte. Schaffte Aratsch es jedoch, Wohlstand zu erlangen, würden sie es sich noch einmal überlegen. Die jungen Leute nahmen traurig Abschied und Aratsch ging als Soldat in die Fremde, da schon mancher Engadiner in Kriegsdiensten zu Ansehen und Vermögen gekommen war. Tatsächlich kehrte er nach einigen Jahren als Hauptmann zurück, erhielt Einlass in Annettas Elternhaus – und fand seine Geliebte aufgebahrt im Totenbaume vor. An gebrochenem Herzen gestorben lag sie bleich und stumm vor dem entsetzten Aratsch. Gequält eilte er davon, schwang sich auf sein Pferd und galoppierte hinauf zur Alp, wo sie beide einst glückliche Zeiten erlebt hatten. Doch er sprengte daran vorbei, weiter bis zum Gletscher, spornte den treuen Falben ein letztes Mal an, und ein dunkler Gletscherschlund verschlang Ross und Reiter. Sie waren nie mehr gesehen.
Damals sömmerte der alte Barba Gian auf der Alp und hörte seitdem zu nächtlicher Stunde seltsame Geräusche aus dem Milchkeller. Es war ihm, als rührte jemand in den Milchbottichen, während eine Frauenstimme leise «Mort Aratsch, Mort Aratsch!« (Aratsch ist tot) klagte. Denn Annettas Geist war’s, den der Tod ihres Geliebten keine Ruhe liess. Es stellte sich heraus, dass die Kühe mehr und fettere Milch gaben, und als die Zeit für Gian gekommen war, seinen Nachfolger einzuweisen, empfahl er diesem, den Geist nur gewähren zu lassen. Doch der neue Senn war ein hartherziger Mann und er verjagte Annettas arme Seele mit einem furchtbaren Fluch.
Von Stund’ an bewegte sich der Morteratschgletscher voran und bald schon hatten seine Massen die Alp und das gesamte Seitental bis weit gegen den Berg, der seitdem Munt Pers heisst, unter sich begraben. Nur die Isla Persa (die verlorene Insel) zwischen den beiden Gletschern und die Bovalhütte erinnern noch an den einstig fruchtbaren Boden um die Alp.
Es war einmal eine schöne Bergfee, die lebte hoch droben zwischen Chapütschöl und dem Munt Pers. Felsentürme und Geröllfelder umgaben ihre Felsenburg, doch ringsum erstreckten sich herrlichste Bergwiesen. Alpenblumen strahlten dort mit der Sonne um die Wette, die sich im saphirblauen See gleissend spiegelte, und muntere Gämsen, gackernde Berghühner und neugierige Schneehasen tummelten sich auf diesen saftigen Weiden. Zuweilen verliess das wunderbare Weib ihre Burg, um sich im See zu erquicken. Erblickten Jäger diese Schönheit im Bade, so war es um sie geschehen: Fasziniert folgten sie der Fee – oder vielmehr: der schönen Teufelin (La Diavolezza) über die felsigen Hänge zu ihrem Schloss … und waren seither nimmermehr gesehen! Der See heisst heute aus diesem Grunde «Lej da Diavolezza».